Warum müssen wir eigentlich immer noch über Impfungen debattieren?

In letzter Zeit gehen in Deutschland leider wieder mal die Masern um, eine Krankheit die wir schon lange hätten ausrotten können. Das einzige was wir als Gesellschaft dazu tun müssten wäre flächendeckend zu impfen. Aber leider gibt es in den letzten Jahren den Trend Kinder nicht mehr gegen Krankheiten zu impfen. Es gibt sogar Eltern die so bescheuert sind ihre Kinder absichtlich an Masern Erkrankten auszusetzen, in der Annahme, dass das gut für das Kind sei. Das diese Idee nicht nur dumm ist, sondern auch tödlich enden kann zeigt das Robert-Koch-Institut. Dort rechnet man pro 1000 Erkrankten mit einem Todesfall (vgl. Robert-Koch-Institut 2015: o.S.).
Erst neulich habe ich während eines Wortwechsels zum Thema wieder einmal gesagt bekommen, dass das Impfen selbst auch nicht so ungefährlich sei. Dieses Argument stützt sich normalerweise auf eine Studie von Andrew Wakefield aus den 1990er Jahren, die nachweislich gefälscht wurde. Diesmal wurden aber „neue Erkenntnisse“ ins Feld gebracht, die man beim Kopp-Verlag finden könne. Diese Aussage ließ mich mit dem Kopf schütteln, ganz abgesehen davon, dass der Kopp-Verlag selbst nur in den wenigsten Fällen als seriöse Quelle zu gebrauchen ist.
Später am Abend habe ich also den Artikel 27 Fakten über Pharmaindustrie, Impfstoffe und „Impfgegner“ zugeschickt bekommen, in dem genauestens erläutert wird, warum das Impfen schlecht sei.

Auf diesen Artikel möchte ich hier eingehen, ich habe ja auch einen Bildungsauftrag. Ich werde zunächst einige der im Artikel genannten „Fakten“ thematisieren, danach werde ich kritisch Stellung zum Aufbau und der Publikationsweise des Artikels nehmen. In dem Teil werde ich auch erläutern, wieso ich die „Fakten“ bearbeitet habe die ich bearbeitet habe.

„Fakt“ Nr. 1: In China kommt es zu Ausbrüchen von Masern, obwohl 99 Prozent geimpft sind.

Die Autorin des Artikels zitiert hier einen anderen Artikel der eine Studie der Public Library of Science zitiert. In dieser Studie heißt es im ersten Absatz, dass in China über 99% der Bevölkerung geimpft sind, trotzdem aber Masern, Mumps und Röteln auftreten. Das ist so nicht falsch. Trotzdem hätte sich die Autorin die Originalstudie durchlesen sollen. In ihr heißt es nämlich, dass die Verbreitung von Masern seit Beginn der Impfpflicht massiv zurückgeht, und zwar von 328 Fällen im Jahr 2008 auf gerade mal neun Fälle im Jahr 2011. Die WHO war sogar 2010 schon so optimistisch, die Masern bis 2015 auf unter 5 Erkrankungen pro 1.000.000 Einwohner zu drücken (vgl. Wang, u.a. 2014: o.S.).

„Fakt“ Nr. 7: In Ländern, in denen mehr geimpft wird, ist die Kindersterblichkeit eher höher.

Die Autorin zitiert eine Studie von Neil Miller und Gary Goldman, doch auch hier scheint sie nicht mehr als den ersten Absatz gelesen zu haben, alle ihre Zitate stammen nämlich aus der Einleitung. Denn auch bei diesem „Fakt“ lohnt es sich etwas tiefer zu graben. Die Kindersterblichkeit hängt natürlich längst nicht nur von Impfungen ab. Beispielsweise stieg in den USA im untersuchten Zeitraum die Anzahl an Frühgeburten um 20%, und Frühgeburten sind ebenfalls ein Faktor bei der Kindersterblichkeit. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Länder mit weniger Impfungen und deutlich höherer Kindersterblichkeit. Im Schlusswort merken die Autoren an, dass es die Zahl der Frühgeburten zu mindern gilt, möchte man die Kindersterblichkeit senken (vgl. Miller, Goldman 2011: o.S.)

„Fakt“ Nr. 8: In den USA existiert ein Impfgericht, das offenbar darauf angelegt ist, »Hersteller vor Haftungsansprüchen zu schützen«.

Abgesehen davon, dass uns in Deutschland die Gesundheitspolitik der USA egal sein kann ist auch dieser „Fakt“ nichts als Humbug. Dieses Impfgericht ist erst mal eine ganz normale Behörde. Sie ist nicht geheim, niemand hat versucht die Existenz zu vertuschen, die Quelle auf die sich die Autorin beruft zitiert sogar Associated Press und ABC News. Diese Behörde regelt Schadensersatzansprüche der Bevölkerung gegenüber dem Staat und den Herstellern von Medikamenten. Leider sind die Originalartikel dieser Quellen nicht mehr verfügbar, dafür aber ein Artikel der New York Times aus dieser Zeit. Darin heißt es, dass das System zwar an sich funktioniert, aber vollkommen überlastet ist. Das liegt vor allem daran, dass die Anwälte nicht nur im Erfolgsfall bezahlt werden, und dadurch die Behörde mit Anträgen überschwemmen und praktisch Handlungsunfähig machen.
Der Gesetzgeber hat diese Behörde so erdacht und ausgestattet, dass im Zweifel Schadensersatz ausbezahlt wird. Es ist besser einigen Betrügern etwas Auszubezahlen, als denjenigen die wirklich Hilfe benötigen nichts zu bezahlen (vgl. New York Times 2014: o.S.).

„Fakt“ Nr. 9: Der Wissenschaftler Dr. William Thompson behauptet es gebe eine Verbindung zwischen Quecksilber (Thimerosal/Thiomersal) in Impfstoffen und Autismus.

Das kann Dr. Thompson gerne behaupten, es ist trotzdem falsch. Nachzulesen hier, hier, hier, hier und hier. Der Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus ist einer der am besten untersuchten Bereiche der Impfforschung, und keine seriöse Studie konnte einen Zusammenhang finden.

„Fakt“ Nr. 16: Impfstoffe gegen saisonale Grippe enthalten immer noch Thimerosal/Thiomersal.

Hier möchte ich gerne „Fakt“ Nr. 18 (Bis heute wird Thimerosal in Grippeimpfstoffen verwendet) mit einfügen. Thiomersal (engl. Thimerosal) ist ein Konservierungsmittel. Es wird bei Durchstechfläschchen genutzt, um sicher zu stellen, dass das Medikament nicht schlecht wird. Bei einer Impfung aus Durchstechfläschchen wird nicht der gesamte Inhalt der Flasche injiziert, sondern eine Flasche ist für mehrere Patienten gedacht. Durch das mehrfache Anstechen der Flasche könnten Keime in den Impfstoff gelangen, deren Verbreitung durch Thiomersal gestoppt wird. Bei Einzelampullen wird normalerweise kein derartiges Konservierungsmittel eingesetzt
Die WHO hat schon im Jahr 2006 einen Zusammenhang zwischen Thiomersal und Autismus widerlegt, unabhängig davon ist das amerikanische Institute of Medicine und die Europäische Arzneimittelagentur zum selben Ergebnis gekommen (vgl. WHO 2006: o.S.).

Hiermit zusammen hängt auch „Fakt“ Nr. 20 (Die CDC behaupten: »Es gibt keinen überzeugenden Beweis für Schäden durch die geringen Mengen von Thimerosal in Impfstoffen«, aber Gesundheitsbehörden »sind sich einig, dass Thimerosal in Impfstoffen vorsichtshalber reduziert oder ganz entfernt werden sollte«.). Dieser „Fakt“ ist nicht grundsätzlich falsch, sondern nur einfach ungenau. Die Hersteller von Impfstoffen haben die Verwendung des Konservierungsmittel Thiomersal zurückgefahren, aber hauptsächlich aufgrund aufgebrachter Eltern. Auch deshalb gibt es für die meisten Impfungen inzwischen Varianten ohne Thiomersal.
Nun noch wie versprochen einige Worte zu meiner Methodik und der des Artikels. In der Überschrift heißt es, dass 27 „Fakten“ genannt werden. Meine erste Frage war: Warum gerade 27 „Fakten“? Wie kommt die Autorin zu dieser Zahl? Meine Vermutung: Sie wollte hier den Leser schlicht und einfach erschlagen. Wenn es in einen so kleinen Artikel schon 27 „Fakten“ schaffen, wie viele muss es dann noch geben? Dafür war der Autorin auch jedes Mittel recht. Meiner Meinung nach sind zum Beispiel die oben genannten „Fakten“ 16 und 18 die selben, fünf weitere „Fakten“ zielen im wesentlichen auf den (widerlegten) Zusammenhang von Impfung und Autismus.

Der Kopp-Verlag hat diesen Artikel von der Webseite GlobalResearch übernommen. Eine Seite die dem verschwörungstheoretischem Umfeld, vorsichtig ausgedrückt, nahe steht. Eine Eigenart dieser Seite ist, dass sie fast nur auf sich selbst verlinkt. Dementsprechend sind 14 der 27 „Fakten“ mit Links auf GlobalResearch belegt. Von den restlichen 13 „Fakten“ ist eine gar nicht mit Quellen ausgestattet, eine verlinkt auf eine deutsche Übersetzung eines GlobalResearch-Artikels beim Kopp-Verlag, und zwei weitere sind vom GlobalResearch-Autor Ethan A. Huff, allerdings bei NaturalNews veröffentlicht.

Ich unterstelle GlobalResearch hier Angst zu schüren. Krankheiten sieht man immer erst wenn es zu spät ist, Eltern machen sich besonders viele Sorgen um ihre Kinder. Das macht diese Taktik so verwerflich, ja böse. Die Autoren bei Global Research selbst haben anscheinend schon länger den Verstand verloren. Anders lässt sich eine Überschrift wie North Korea, a Land of Human Achievement, Love and Joy nicht erklären.

Ich selbst habe die oben aufgeführten „Fakten“ mehr oder weniger aus dem Bauch heraus ausgewählt. Falls es gewünscht ist kann ich versuchen in den Kommentaren noch weitere Fakten zu zerpflücken. In diesem Fall bitte in den Kommentaren melden.

Wer wirklich auf der Suche nach Antworten auf seine Fragen zum Impfen ist sei auf diese Webseite des Robert-Koch-Institut verwiesen.